1
Nov
2005

zurückgebeamt

Ich werde nicht mehr angehupt! Menschen schimpfen über verspätete U-Bahnen! Es regnet!
Ist schon ganz schön, zurück im "deutschen Herbst" zu sein!

19
Okt
2005

Blutrache

Klingt sehr alt, oder? Zumindest klingts nach etwas was ausgestorben ist. Ist aber nicht so. Vor 3 Wochen oder so ist es waehrend einer Hochzeit (Braut aus Rahat, Braeutigam aus Lakia) zu einem Streit zwischen 2 Cousins gekommen, der schliesslich mit einem Toten und einem Verletzten (dem "Moerder") gefuehrt hat. Welch Tragoedie - und alles nur wegen ein paar Kratzern am Auto, die ein Kind verursacht hat (kann natuerlich sein, dass dies nur ein schon volles Fass zum Uberlaufen gebracht hat - so tief konnte ich nicht in die Vorgeschichte eintauchen). Nun ist es frueher so gewesen, dass sich so ein Fall normalerweise zw. 2 Familien ereignet und die Familie des Moerders sich mit Kind u Kegel aus dem Staub macht (nochmal zur Erinnerung der Familiengroesse: 200 bis 500 Mitglieder oder mehr) und das Weite sucht. In diesem Spezialfall hat sich die Familie in 2 Parteien spalten muessen, die die auf der Seite des Getoeteten stehen und eben auf der Seite des "Toeters" (habe etwas Schwierigkeiten das Wort "Moerder" zu verwenden). Der Familienteil des "Toeters" ist nun nach Tel Arad gefluechtet, weahrend die Dorfweisen zu vermitteln suchen. Die israelische Polizei und das REchtssystem spielen hier nur eine Nebenrolle, obwohl der "TOeter" derzeit im Gefeangnis sitzt. Ich bin davon ausgegangen, dass die Familie des "Toeters" eine immens hohe SUmme zahlen muss und evtl. nicht mehr zurueckkehrt nach Lakia. Daher war ich ziemlich schockiert, als mir jd. erzaehlt hat, dass sich diese SItuation nicht bessern wird solange nicht "Blutrache" geuebt wurde, d.h. es muss ein Mitglied des anderen Teils der Familie umgebracht werden, d.h. es kann auch der Bruder, Onkel, Vater des "Toeters" sein. Die verflixte Ehre.
Da ich leider bald fahre, werde ich das ENde dieser Geschichte wohl nicht in Erfahrung bringen koennen.
Uebrigens regnet es gerade in Beer Sheva - der erste Regen seit vielen vielen Monaten. WIe schoen Wolken doch sein koennen wenn man sie so lange nicht gesehen hat.

15
Okt
2005

Imagine there’s no Heaven, above us only sky... Ein interkultureller Abtrag.

Alles in allem reicht es mir gerade. Wohl auch weil ich fast jeden Tag nur vor meinem Notebook sitze, das wie so vieles hier – Fenster, Türen, Tische, Stühle, Kühlschränke, Brot etc. – nur wie das Original aussieht, aber nicht so funktioniert. (Danke, Bill Gates, aber ich will die ungezählten Fehlerberichte nicht an dich senden, du Arsch!) Viel mehr, als an unserer Studie zu schreiben, ist auch deshalb gerade nicht drin, weil die von uns noch dringend benötigten InterviewpartnerInnen sich ziemlich rar machen und...

...nun ja, die übrigen Problemchen lassen sich wohl mit dem schönen Wort Moskitoämterramadan treffend zusammenfassen. Die Moskitos lassen mir nächtens viele der im Normalfall verpönten Nazivergleiche zufliegen, zu Hause türmt sich Ärger auf (Kleiner Tipp am Rande: keinen Berliner Bürokraten Glauben schenken, die behaupten, man könne bei Abwesenheit das Wichtige auch per E-Mail, sprich I-Mehl, klären... Die lauschen garantiert den Hörbüchern von Bill Gates’ Autobiographie oder Hitlers Tagebüchern, während sie Mückenschwärme im von Rabatten gezierten Garten züchten! So Leute sind das, Vorsicht!) und wenn man nicht gerade Muslim ist, kann der Ramadan noch stressiger sein, als wenn man Muslim ist.
Für mich als Außenstehenden scheint Ramadan so etwas zu sein, wie ein gesetzlich restriktiv befohlener, einen Monat andauernder „Heilig“abend: die Menschen sind im Kauf- und Kochrausch, total nervös und aggressiv, und wenn endlich die Abenddämmerung in den gerade so überlebten Tag kotzt, fressen sich alle in einem Tempo die Wampen voll und Rauchen, als solle es kein Morgen mehr geben. Ob sie danach auch kitschig dekorierte Kinder absurde Lieder quäken lassen, um ihnen, belohnend für das Geplärre, die Krone der Völlerei auf die Milchzähne zu setzen, weiß ich allerdings nicht. Im Zweifelsfall vertreten diesen Part aber auch die Muezzine, die während des Ramadans alle paar Minuten Koransuren über schlechte Lautsprecher in den Äther „singen“. So also gestaltet sich aus meiner etwas angenervten Perspektive der Heilige (!) Fasten(!)monat(!) in der Realität. Und wer es mit dem ganzen fadenscheinigen Zirkus nicht gar so heilig hat, aber auch nicht belangt werden will, isst, trinkt, vögelt und insbesondere: raucht halt im besonders Geheimen, wie einem von Ebensolchen unter der Hand mitgeteilt wird. Aber wehe, man ertappt die anderen dabei. Die palästinensische, wenigstens auf Ramallah bezogene Variante des Spießbürgers existiert also auch und ist von ihrem deutschen Zwilling nicht allzu verschieden. (Jedenfalls so man davon absieht, dass die Besatzungsmacht keine Bürgerstatus als solchen genehmigt.)
Die Option, als in der Westbank wohnender Atheist und Ausländer mal eben in Israel Zuflucht vor dem ganzen Brei zu suchen, bringt leider dann auch nicht so viel: jüdisches Neujahrsfest, Yom Kippur und werweißwasnochalles...

Und mich mit meiner irgendwann beginnenden Rückkehr zu beruhigen, klappt wohl auch nicht: dann wird Vorweihnachtszeit in Deutschland sein! Also alles in allem eine narrenfreie Phase, die so etwas darstellt, wie ein ins Totalitäre gesteigerter Ramadan: Wühltische bei Aldi und Karstadt künden vom Konsumterrorismus, über Sinn und Verstand wird eine Fathwa verhängt, das Biedermeier in den Wohnzellen wird unter gestickten Märtyrerdeckchen versteckt, verrotzte Gören basteln aus von den Konsumterroristen viel zu sorglos beiseite gelegtem Verpackungssondermüll Unmengen schmutziger Geschenkbomben, die sie „Gaben“ nennen, und in Dauerfolter sabbern einem Muezzine die armen Ohren voll, die allerdings nicht Muezzine heißen, sondern unter Schläfernamen wie Chris Rea oder George Michael in den akustischen Dschihadd ziehen. Last Christmas I gave You my heart... In der Abendmesse faseln dann Hassprediger von den glorreichsten ihrer Verbrechen, was die Besinnlichen zur selbstgefälligen Andacht ob der Größe ihrer Kultur und ihres Herrn bewegt. Mit noch gewaltigeren Emotionen etwas anderer Natur werden sodann Kollekten für den weiteren Kampf und die Nachkommen der für ihn gefallenen Märtyrer gesammelt. Und wie ein deutsches Damoklesschwert üüüber ahhellem, üüüber ahhelem in der Welt, lässt die Weihnachtszombieansprache von Horst-Ich-liebe-dieses-La-and-Köhler sobald erahnen, wie nahe ahelle der paradiesischen Endzeit schon sind, wenn sie sich nur weiterhin kreuzritterlich konsumierend anstrengen: „Wir haben schon einmal Großes vollbracht...“ Und so jagt schon eine Woche später ganz Deutschland wieder etwas in die Luft. Wurde ja auch Zeit, schließlich sind wir ja nicht irgendwer, nicht wahr Horst?
Kein Wunder also, dass zu fortgeschrittener Stunde am Heiligen Abend immer die Selbstmordattentäter Bruce Willis, Charles Bronson oder Clint Eastwood einsam, zynisch, lahmarschig cool und vor allem: bis an die Zähne bewaffnet über die extra für Weihnachten gekauften Plasmabildschirme stolzieren, bis dem ganzen un- wie fehlgläubigen Mob der Garaus gemacht wurde.

Wenn unser aller Gott tatsächlich sooo groß ist, dann doch wohl vorrangig deshalb, weil er uns diese ganze in seinem Namen fabrizierte und wahlweise von der Bin Laden Corporation oder Kaisers-Tengelmann herzlichst präsentierte Scheiße ungestraft durchgehen lässt! Noch jedenfalls, wie jetzt einige der besonders Eifernden und Frömmelnden ergänzen würden... und bald auch ich. Ach, diese Moskitos...

Driving home for X-Mas. Ho Ho Ho, wie ich mich freu!

3
Okt
2005

Halbzeit?

So, da ist jetzt also die Hälfte unserer Zeit hier vorbei – ein wie so oft gutes aber auch merkwürdig schlechtes Gefühl. Man könnte hier so unglaublich viel tun, man hat einige Freunde gewonnen, beeindruckende Personen getroffen und zu allem Überfluss sind die meisten israelischen Soldaten wesentlich umsichtiger mit den Palästinensern wenn andere Ausländer als sie selbst dabei sind... Man kann den Eindruck völlig von den Medien Gehirn gewaschener Europäer etwas relativieren und nach der angemessenen Eingewöhnungszeit und Honeymoonphase ebenso mal offenherzig bekunden, was man absolut scheiße hier findet – und das ist naturgemäß auch nicht gerade wenig. Alles in allem also: wie gehabt. Die Israelis setzen ihre „gezielten“ Tötungen und ihr Terminator-Gehabe fort, die Palästinenser demonstrieren und gehen ein bisschen wählen, einige rasten aus, die überaus meisten begegnen dem allen mit gelassenem Gleichmut. Irgendwie scheinen sie alle das Thomas-Theorem zu kennen, nach dem alles, was für real gehalten wird, auch reale Konsequenzen zeitigt. Und die Palästinenser scheinen sich immer für etwas weniger unterdrückt zu halten als sie es realiter sind. Und sich damit etwas freier zu fühlen als sie es tatsächlich sein dürfen. Und ich guck mir das alles an, schüttele den Kopf und sage wieder kaum anderes als: Ach, wie interessant.
Unsere Arbeit hier läuft ihren angemessenen und interessanten Gang, wir beginnen langsam mit den Auswertungen unserer Erhebungen. Einige Tage waren wir ganz Touristen-mäßig im Merkwürdigen Haschemitischen Königreich von Jordanien (wie es so oder so ähnlich immer auf den Geldscheinen stand, die wir dort zuhauf lassen mussten) unterwegs, haben auch einen neuen Mitbewohner auf Star Mountain, nachdem der alte, nun sogar von mir vermisste Stephan (Liebe Grüße, du blonder Weltverbesserer!) sein Mitunsleben im Schlachtfeld des Straßenverkehrs von Amman lassen musste – und nun wieder in Deutschland weilt. Zudem besuchten wir eine recht internationale und bereits für jeden Freitag institutionalisierte und ritualisierte „Anti-Apartheids-Mauer“-Demonstration in einem nahen (noch) palästinensischen Dorf auf der ehemaligen Grünen Grenze, die vielleicht auch durch unser unschuldig interessiertes Grinsen zum ersten Mal nicht mit Tränengas, Kugeln, Pauschalinternierungen & Co von der Armee aufgelöst wurde. Zudem waren auch wenigstens einige Anhänger der mickrigen israelischen „Friedens“-„Bewegung“ anwesend, und auf die eigenen Leute zu prügeln oder zu schießen, kommt selbst in Israel nicht gut an, wie man beim Gaza-Abzug sah. Wir sind also heil geblieben und haben neben der Soldateska vorrangig Leute fotografiert, die Leute fotografierten, die die Soldateska fotografieren wollten, aber nur Leute vor die Linse bekamen, die mit ihren Kameras andere Leute mit Kameras fotografierten... also uns! Freilich mag es viele Soldaten geben, denen die schmutzige Unterdrückungsarbeit in all ihren Facetten zuwider ist, aber irgendwie ist es mir gerade nicht mehr möglich solche, so man sie hin und wieder zu erkennen glaubt, als normale Menschen zu betrachten, mit ihnen über völlig banale Alltäglichkeiten ins Gespräch kommen zu wollen usw. Soldaten funktionieren halt nur im Plural und wenn’s hart auf hart kommt, verschwindet der Mensch hinter seinem Visier und seinen Waffen. Im Kern aber war diese Demo eben eine der perfekt beherrschten und auch darum wieder einmal gelungenen mehrheitlich palästinensischen Medieninszenierungen, um mit einfachen und klaren Bildern zu beleuchten, dass der ohnehin umstrittene Mauerbau militärisch forciert wird und noch zusätzliches palästinensisches Land enteignet – aber wahrscheinlich interessiert das eh keinen mehr wirklich. So unfein es sein mag, so etwas zu schreiben, aber politisch betrachtet waren die Palästinenser – vielleicht mit Ausnahme der Ersten Intifada – seit Jahrzehnten das politische Verlierervolk, in allen Himmelsrichtungen irgendwie unerwünscht und diskriminiert. So zerstückelt von riesigen Siedlungen die besetzten Gebiete nun einmal sind, so viel Land, wie jetzt durch die Mauer zusätzlich enteignet wird, so repressiv und anmaßend die Besatzungsherrschaft ist, auf so wenig Unterstützung und Ressourcen man hier bauen kann, so korrupt und machtlos das bürokratische und „staatliche“ System hier ist, so dermaßen eskalierend, wie die unterschiedlichen Terrorismusagenturen hier konkurrieren und kommunizieren, so viel Intelligenz und Geld hier abwandert... Palästina, im hinreichend vollständigen Sinne des Begriffs, existiert nicht und wird nicht existieren. Und mich wundert es nicht mehr, dass nicht wenige den fundamentalistischen Rattenfängern „freiwillig“ in die Arme springen. Außerdem wurden die wenigen größeren der hiesigen Errungenschaften und der bescheidene Wohlstand schon so oft zerstört und in Frage gestellt, dass es selbst hier kaum noch jemanden ernstlich schmerzt, wenn sich wieder mal etwas in Luft und Staub auflöst. Es wird selbstgenügsam wieder aufgebaut, so es kein Leben in individueller Substanz war und die Israelis überhaupt eine Baugenehmigung erteilen, und, wie meine Mutter so oft polemisch sagte: wer nicht rumheult, dem muss es ja gut gehen. Horkheimer und Adorno sollte man hier also besser nicht lesen, wenn man sie mag (was keinesfalls eine Aufforderung sein sollte, im Gegenzug Habermas zu studieren!)... Morgen gehen wir auf’s „Oktober-Fest“ (!) Taybehs (dem größten und wohl einzigen Brauerei-Ort hier, wo letztens die Häuser brannten*) und spülen das alles weg. Schnell weg, denn um sieben Uhr abends ist Sperrstunde!
In diesem Sinne: Tagesschau fängt gleich an. Mal sehen, was wieder nicht berichtet wird. Wie im Osten...


* Apropos: unabhängig von dem, was wir dazu schrieben, hat Peter Schäfer, ein hier lebender Journalist, am 17.09. einen guten Artikel mit einigen weiteren Hintergründen zu dem Vorfall in Taybeh in der Zürcher Zeitung (Nr. 217/05) veröffentlicht. Wen’s interessiert, kann ja mal etwas im Netz surfen.

Ein Zaun, oder so.

Eine Zwiebel, ein Helm, Tuch und Fotoapparat. Und eine Portion Glück. Unser Glück war groß genug, dass wir eigentlich nur unseren Fotoapparat brauchten, den Rest hatten wir eh nicht dabei.
Jeden Freitag seit dem Näherkommen der neu gebauten Mauer im März findet im Dorf Bilein, 30 Min Autofahrt von Ramallah, eine Demonstration statt, um die Wut über die Einbetonierung des Dorfes zu äußern und sie in mediengerechte Symbole zu verpacken. Daher ist auch der Fotoapparat, besser noch die Filmkamera, der wesentliche Gegenstand vor Ort: in Palästina-Fahnen gehüllte und herausgeputzte Kleinkinder, die vor einer Reihe martialisch ausgerüsteter israelischer Soldaten herumhüpfen; in Olivenbäumen sitzende Dorfbewohner, die ihre Ernte demonstrativ einbringen, hinter ihnen fällt der Blick auf eine wunderschöne Hügellandschaft - und eine Reihe israelischer Soldaten; der mitgeführte Esel, der sich hervorragend in Szene setzen lässt; einzelne Rangeleien zwischen Demonstranten und Militärs, Rangeleien um ein bis hierhin und nicht weiter… Bilder von internationalen Demonstranten, von älteren israelischen FriedensaktivistInnen, gehisste Palästina-Fahnen, die aus heikler Symbolik nicht von israelischen Soldaten heruntergerissen werden dürfen… bieten gut komprimierte Bilder für die Weltöffentlichkeit.
Wenn einem bewusst wird, worum sich dieser ganze Zirkus eigentlich dreht, dann kann der Protest nicht groß genug sein. Denn der „Schutzwall“, der Israel vor Selbstmordattentaten beschützen soll, wird nicht nur um das gesamte Westjordanland errichtet, es werden ganze Dörfer eingemauert. Die Bewohner dieser Gebiete werden somit um ein weiteres Stück ihrer (Bewegungs-) Freiheit beraubt.
Der Gedanke, innerhalb Deutschlands von Hamburg aus nicht nach Ostberlin fahren zu dürfen (oder andersrum) scheint mittlerweile völlig absurd – der Gedanke, sein Dorf Tetenbüll nur mit der willkürlichen Erlaubnis dort stationierter Soldaten betreten und verlassen zu dürfen, ist wohl nicht nur für die Bevölkerung Tetenbülls unvorstellbar.
In Palästina werden Dörfer eingemauert. Die Dörfer die nahe des Verlaufs der Mauer liegen, werden systematisch eingeschlossen, Bauern werden dadurch von ihren Feldern weggesperrt, andere verlieren ihre Arbeit außerhalb des Dorfes und damit ihre Lebensgrundlage. Und dann geht die Kalkulation israelischer Politiker auf: bevor sie in ihren Dörfern verhungern und verdursten, verlassen die Menschen ihre Heimat – unbewohntes Land kann leichter eingenommen werden.
Bilein wird umzingelt, halbkreisförmig verläuft in Zukunft die Mauer hinter dem Dorf und auf der anderen Seite wachsen israelische Siedlungen von den Kuppen der umliegenden Hügel herab.
Neben dem Kampf um den Boden des, ...ach..., „Heiligen Landes“, wird der Zugang zur knappen Ressource Wasser als Mittel der Unterdrückung eingesetzt.
Mohammad hat das Parterre seines zweigeschössigen Hauses als zentralen Anlaufpunkt und als Unterkunft für aus dem Ausland (und aus Israel) angereiste Demonstranten bereitgestellt. Trotzdem man ja eigentlich ein Teil dieser merkwürdigen Gemeinschaft ist, muss man über dieses Szenario erstmal schmunzeln: junge Leute liegen auf Matratzen herum, begrüßen eintreffende bekannte Gesichter überschwänglich und beäugen unbekannte aus ihrer lässigen Position mit cooler Distanz. Die Grundregeln des Miteinanders sind auf Plakaten erklärt: Abwaschen!, Geld in die Haushaltskasse zahlen, auch mal aufräumen; über der Toilette: if it´s yellow let it mellow, if it´s brown flush it down! Und: einen wahren Revolutionär erkennt man am Geruch! Duschen nur, wenn´s nötig ist, denn WASSER IST KNAPP! Die Wasserversorgung in den Palästinensischen Gebieten ist schlecht und daher stimmt der Blick aus Palästinensischen Dörfern im Tal auf sprießende Rasenteppiche der israelischen Siedlungen auf den Hügelspitzen nicht gerade versöhnlich.
Wir hatten heute besonderes Glück, weil angeblich der Einsatzleiter der Hundertschaft für Bilein gewechselt wurde. Zu merken war das daran, dass es keinerlei Eskalationen gab und so wurden wir Zeugen und Teilnehmende der “friedlichsten Demo in Bilein“, die aus etwa sechzig, siebzig Demonstranten, bestehend aus zwei Händen voll angereister Israelis, ein paar Händen voll „Internationaler“, dann ganzer Familien aus dem Dorf bestand. Wie viele der Teilnehmenden eigentlich Journalisten waren, ist schwer zu sagen, denn fast jeder hatte Kameras dabei.
Übrigens soll das Riechen an aufgeschnittenen Zwiebeln und um Mund und Nase gebundene Tücher die Wirkung des regelmäßig eingesetzten Tränengases minimieren. Professionell ausgestattete Journalisten hatten denn auch schussfeste „Press“-Westen, Helm und Gasmaske dabei. Ich will mich hier nicht als mutige „Krawalltouristin“ wichtig machen, wenn man will darf man auch das moeglicherweise provokative Auftreten einiger Demonstranten kritisieren. Aber viele junge Leute, mit denen wir hier gesprochen haben, fühlen sich vom Rest der Welt mit ihrer auswegslosen Situation allein gelassen. So absurd und inszeniert dieses Spektakel auf dem Olivenhain mit wunderschönem Ausblick auch wirkt: zumindest gelangen hierdurch symbolträchtige und einfach verständliche Bilder an einen kleinen Teil der Weltöffentlichkeit. Nicht zu vergessen: es geht hier um sehr viel mehr als nur um Symbole.

25
Sep
2005

Salam oder Shalom?

Nun ist mein letzter Eintrag hier also schon einiges her; das steht wohl symbolisch für meine Stimmung. Viele neue Menschen, Eindrücke und Erlebnisse reihen sich aneinander und vielleicht wäre es besser gewesen, sich nach zwei Wochen mit öde-glücklichen Touristeneindrücken wieder zu verabschieden... so aber erhalte ich immer detaillierte Informationen und verliere oft die Neugier, noch mehr Details über das Leben hier in Erfahrung zu bringen, ohne Abhilfe schaffen zu können, wo es nötig wäre. Kurz: ich habe etwas den Blues und vermisse sehr die Isolation, die ich mir zu Hause in Berlin holen kann, wo und wann immer ich auch mag. Einfach mal durch die Straßen tingeln, einen guten Kaffee trinken, Zeitung lesen, die Klappe halten, mal schlechte Laune haben und rummotzen, nicht weiter auffallen eben – das geht alles nicht so richtig hier, es schaut eben nur optisch verwestlicht aus... Mittlerweile jedenfalls sind wir ziemlich herum gekommen, haben u.a. Bethlehem inklusive der Geburtskirche Jesu und einem der seit Ewigkeiten in Armut institutionalisierten Flüchtlingslager gesehen, bald fahren wir für einige Tage nach Jordanien, wenn man uns lässt, usw... Das deutscheste, was wir bisher hier gemacht haben, war meine Geburtstagsparty am Wahlabend – die war sehr angenehm und zur Wahl selbst verliere ich, wie es ja auch gerade in der BRD üblich ist, besser kein konkretes Wort.

Zunächst: meine Meinung über Jerusalem, speziell die Altstadt, hat sich trotz längeren und intensiveren Aufenthalts nicht wesentlich verändert. Heilig ist die Stadt keinesfalls, höchstens noch heilig krank und dreckig und unangenehm verrückt – also nicht einmal mehr in einem kreativen Sinne beknackt. Mich wundert es nicht mehr, dass die wahren materiellen Schätze des Christentums im Vatikan verbuddelt liegen, so sie transportabel waren... Dennoch: dem historizistischen Nippes Jerusalems („See, see, very holy, holy!“) steht die fast völlige Abwesenheit kultureller Wertgegenstände in der Westbank – Judäa und Samaria, wie die Juden es nennen – gegenüber; alles, was die Palästinenser über ihre Kultur wissen, scheint nur in ihrer Seele oder nur in europäischen Museen zu liegen.
Über die kleine Blut- und Ehrenfehde, die kürzlich hier stattfand und bisher erstaunlicherweise nur ein Leben, aber auch viele Häuser und wirtschaftliche Existenzen kostete, schrieb Lena ja schon etwas. Ziemlich absurd das Ganze und wenn man die angeblich ausgehandelte, so genannte Lösung des Problems betrachtet, hört zumindest bei mir die Bereitschaft zum „interkulturellen Lernen“ auf und die Abscheu bleibt. Die Mörder, Brandstifter und Brandschatzer werden mit einer Riesensumme für ihre wie auch immer entartete Entehrung entschädigt und eines der Opfer ist nun von der eigenen Familie um der wohl vorübergehenden relativen Sicherheit der einzig in der Westbank verbliebenen christlichen Kleinstadt willens vogelfrei gegeben – noch in einem Knast sitzend, in dem korrumpierbare Milizen (Polizei mag ich das nicht mehr nennen, was man hier sieht und hört) ein- und ausgehen, die schon, während der Brandschatzermob um die Häuser zog, die Fresse hielten. Fairerweise jedoch sollte erwähnt werden, dass auch israelische Soldaten vor Ort waren, die – frei nach dem Motto: schön, wenn die sich schon selber den Garaus machen – die Waffen unten hielten und gelangweilt abzogen, als die Brände kleiner wurden. An den Checkpoints und anderswo sind sie ja nicht so zimperlich und kulturell aufmerksam. Nun ja, der Beschuldigte sitzt jetzt jedenfalls im Fadenkreuz der „Schutzhaft“ und ein von außen einsehbarer Fensterplatz im Knast genügt, damit er liegt. Ob es seiner Familie gelingen kann, den Mann noch rechtzeitig außer Landes zu schaffen, wage ich zu bezweifeln, weil sein Fremdgehen – mit einer nunmehr toten, verbuddelten, exhumierten, zerschnippelten und erneut verbuddelten Tochter der Mörder und Brandschatzer – auch offiziell ein justiziables Vergehen darstellt. Auch wenn die (aus meiner Sicht) tatsächlichen Opfer ein berechtigtes Interesse daran haben, diesen Konflikt nicht als einen auch religiösen an die große Glocke zu hängen: der Platz für Christen in der Westbank wird enger und ihr Leben härter, zumal sie ohnehin nur selten den unteren Gesellschaftsschichten angehören und auch insofern willkommene Magnete von Neid, Habgier und Übergriffen sind.

Mittlerweile bekomme ich auch mehr von Ausmaß und Methode der Besatzungsherrschaft mit. Neben den lebhaften Erfahrungsberichten von Freunden und Bekannten, die die zum Teil totale Reaktion der IDF auf die Zweite Intifada überlebt haben, sind insbesondere die Checkpoints der Israelis, die meist auf Hügeln gelegenen Siedlungsfestungen und die auch während meiner Anwesenheit hier permanent größer und länger werdende Trennungsmauer beeindruckende Kennzeichen einer auf beiden Seiten ideologisch erstarrten Absurdität. Am Kallandia-Checkpoint kann man mit nur sechs geraden Schritten offiziellen israelischen Boden betreten, ihn wieder verlassen, wieder betreten, wieder verlassen, betreten... So pervers die israelische Besatzungspolitik ist, so intelligent ist sie auch und ringt mir nicht selten ernsthafte Bewunderung für die kommunikative Genialität ab, mit der es oft erreicht wird, die Palästinenser in Europa als hirnlose Attentäter hinzustellen, die den friedliebenden israelischen Staat bedrohen. Die nach der Zweiten Intifada noch in Israel arbeitenden Palästinenser zahlen dort Steuern und Sozialabgaben, von denen sie jedoch keine Rechte ableiten dürfen, wenn die Mauer fertig ist, werden ohnehin noch viel mehr dieser Arbeitsplätze an die ebenso unterschichteten Gastarbeiter aus anderen, meist noch ärmeren Teilen der Welt fallen. Insbesondere zwischen Ramallah und Jerusalem werden, steht die Mauer erst einmal vollends, wohl viele Familien abermals enteignet und zerrissen, deren einer Teil in Israel lebt und die entsprechende Erlaubnis hat, der andere in der Westbank (oder dem, was davon übrig sein wird), und jene Erlaubnis nicht erhält – ohne entsprechende Bezahlung ohnehin nicht. Die unzähligen Siedlungen der Israelis unterbinden rigoros jede Freizügigkeit, die guten Straßen werden für Palästinenser gesperrt und ans israelische Verkehrsnetz angeschlossen. Nistete man früher viele eher der Arbeiterpartei zugewandte soziale Problemfälle in die staatlich geförderten Siedlungen ein, um sich konservatives Anti-Abzugsstimmvieh heranzuzüchten, hocken heute viele neue Israelis aus der ehemaligen Sowjetunion und den USA in den sich spiralförmig von den Bergkuppen schlängelnden Festungen und gerieren sich paramilitärisch. Viele palästinensische Städte sind mittlerweile komplett von Siedlungen eingekesselt, die bei Bedarf zusammengeschnürt werden, auf das die im Tal gelegenen Quartiere, ökonomisch wie sozial und gesundheitlich zerrüttet, aufgegeben werden. Wenn das israelische Militaer richtig Glück hat, findet sich dann auch noch so eine verarmt radikale Sau, die sich irgendwo in die Luft sprengt, und hat die westlichen Medien wieder auf seiner Seite. Und wenn der internationale Widerspruch doch mal etwas härter ausfällt, verlagert man eben ein paar Container aus provisorischen Siedlungen hundert Meter weiter nach Osten – sie wurden ohnehin nur dafür aufgestellt und haben keinen sonstigen Wert als den medial-psychologischen. Neulich bin ich spät abends raus gelaufen, um nur einige hundert Meter entfernt Kippen zu kaufen und prompt in einen der „fliegenden“ Checkpoints geraten: eine flugs im Dunkeln mittels Panzerwagen errichtete Straßensperre, drei Soldaten kontrollieren die Autofahrer und Passanten, zwei sichern nach oben und unten ab, ein Scharfschütze liegt etwas weiter entfernt versteckt, um eventuelle Durchbruchsversuche effizient zu vereiteln. Der erste Kontrolleur jedenfalls winkte mich durch, dem zweiten musste ich mit erhobenen Armen kurz erklären, was ich vorhabe, und warum (Warum geht man wohl am Abend Zigaretten kaufen???). Meine Antwort hat ihn denn auch nicht erstaunt und ich durfte passieren. Der dritte aber (so ein dummer Dicker, dem man auf dem Schulhof immer die Pausenbrote geklaut hat) lud das Gewehr durch, hob es, schrie irgendetwas, ich stolperte im Dunkeln, hatte auch schon seinen Stiefel auf dem Rücken und ein komisches Kribbeln unterhalb des Nackens – auf die Stelle zielte der Gewehrlauf, ohne mich zu berühren. Gekribbelt hat es trotzdem, mein Pass lag im Rucksack, der Soldat konnte auf Englisch nicht schreien, aber bereits nach fünf Minuten durfte ich weiter, hörte wohl nur aufgrund meiner Fremdheit ein kurzes „Shurry“ – nachts sind alle Katzen grau und auf dem Rückweg durfte ich ohne Hinderung passieren. Die Palästinenser lässt man, wenn sie Glück haben, gerne mal, besonders zur sengenden Mittagszeit, eine Stunde und länger im Dreck liegen.
Von den unzähligen Erfahrungsberichten anderer hier wage ich derzeit noch kaum zu schreiben; zu groß ist die Befürchtung, in die Nähe beschissener Holocaustvergleiche und dummdreister Verschwörungstheoretiker geraten zu können – immer geeignet, typisch deutsche Entschuldungsdebatten zu stabilisieren. Doch die vielen Erzählungen, die eigenen Besichtigungen sowie auch die absurden persönlichen Erfahrungen vor Ort bedingen unwillkürlich, dass es immer schwerer fällt, sadistische Perversionen israelischer Militärs als moralische Verfehlungen einzelner Vollidioten – soldateske Ausnahmen mithin – zu werten. Wozu Menschen fähig sein können, gibt man ihnen die Macht und die Straffreiheit, war mir auch vorher klar. Solchen Menschen ins Gesicht zu sehen, aus Selbstschutz freundlich lächeln zu müssen, sich von ihnen kontrollieren und gelegentlich auch anfassen oder eben treten lassen zu müssen – das alles ist etwas völlig anderes; stets getragen von der absurd arroganten Selbstgewissheit, man selbst würde anders, moralischer, ethischer, freundlicher handeln, steckte man nur in Uniform und wäre Teil des von Gott erwählten und von den Nazis fast vernichteten Volkes... ja, ja, positive Diskriminierung, der es an der notwendig ausgeglichenen Objektivität mangelt, ich weiß. Ich sollte besser aufhören und mich darauf freuen, dass ich das alles, zurück in Deutschland, wieder ganz anders und gleichgültiger sehen werde.

Auch wenn es also, zusammenfassend, immer wieder gelingt, den Israel-Palästina-Konflikt als einen hochgradig diffizilen zu kommunizieren und irgendwie alle eine Meinung dazu haben: ich sehe auf beiden Seiten einfach zu viele Menschen, die leben und arbeiten wollen, lieben, Kinder kriegen, Spaß haben, alt werden, gesund bleiben – der ganz normale Kram halt. Aber für die Israelis ist trotz der wenigen Proteste das über fünfzig Jahre alte Besatzungsregime immer noch die ökonomisch günstigste und innenpolitisch opportunste Zukunftsvision; jedenfalls so der Westen weiterhin den Großteil der Kosten seines letzten Außenpostens trägt. Der Gaza-Abzug ändert daran gar nichts, war es doch im Gegenteil ein gelungener Coup, um sich weitergehende Forderungen der so genannten Internationalen Gemeinschaft auf Jahre hinaus vom Hals zu schaffen, ein ohnehin unnützes und menschlich brutalisiertes Gebiet in eine andere Art von Chaos zu treiben, und obendrein die Palästinenser als sich alsbald selbst zerfleischende, unzivilisierte Wilde bloßzustellen. Und für die Palästinenser... ich weiß nicht. Viele jener, die ich hier traf, haben sich irgendwie abgefunden und kanalisieren ihre aufgestauten Aggressionen anderweitig (...). Ich habe das Gefühl, dass sich viele nach Jahren der Tyrannei und Selbstzermürbung in eine Art Lebenslüge flüchten: wenn die Besatzung erst einmal endet, wenn erst einmal ein souveränes Palästina mit einer Gaza-Exklave besteht, wenn es erstmal erlaubt ist, eigene Fehler zu machen und zu korrigieren, wenn man sich erstmal nicht mehr von den ganzen hochnäsigen Pazifistentouristen und NGO’s die Welt und die westliche Demokratie erklären lassen muss, wenn endlich mal die meist korrupte Politik der arabischen Bruderstaaten etwas ernstere Solidarität zeigt und den Ölknopf drückt, wenn Scharon endlich aus seinem privaten Jerusalemer Palast entfernt wird und als politischer Kriegsverbrecher und militärischer Massenmörder in Den Haag auf der Anklagebank hockt und heult, wenn erstmal die tausenden politischen Gefangenen aus israelischen Knästen befreit sind, wenn man erst einmal etwas Stolz auf das Geleistete entwickeln darf, das nicht irgendein Panzer gleich wieder zerstört... dann, ja dann... Bullshit, wie ein Leben im Futur Zwo. Man träumt sich in eine idealistische Phantasie hinein, macht gelegentlich mal ein Intifadachen, die Intelligenz wandert ab oder isoliert sich in den Villenvororten vom Gesinde und die minder Bemittelten lassen sich in den Sog der Hamas- und sonstigen Ideologien ziehen – zionistische Weltverschwörung, amerikanischer Imperialismus, glorreicher Hitler und der ganze andere Scheiß... Kurz: ich habe auch keine Lösung und jetzt, wo ich schon mal hier bin, habe ich auch kaum den Nerv und den notwendigerweise fehlenden Respekt, mir reißbrettartig politische Kompromisslösungen herbeizuzaubern.

Beim nächsten Mal wird der Blues wieder vorbei sein, versprochen.

20
Sep
2005

Geschichten

Die dritte Woche in Ramallah ist fast vorbei, Anekdoten und Geschichten, Gesichter und Schicksale haben sich angesammelt. Von manchem kann ich hier berichten, auch ohne euch zu langweilen, manches bleibt lieber noch stand-by in meinem Kopf oder Herzen, weil es zu viel für diesen Ort ist und Zeit braucht, um erzählt zu werden.
Zum Beispiel: Die Kinder aus dem engen übervölkerten muslimischen Teil der Jerusalemer Altstadt, bei denen wir Gäste sein durften, als der Jerusalem Circus zu Besuch kam. Ein Freund von uns, der als Schauspieler arbeitet und neben sehr vielen Menschen auch viele interessante Projekte kennt, hat uns (Stephan, Tina, Sebastian und mich) zu dem besagten Kindertreffpunkt in einer engen und verwinkelten Gasse in Jerusalem mitgenommen. Bestimmt sechzig Kinder im Alter zwischen gerade eben mitlaufen können und den ersten Pubertätsschüben waren in einem Raum, einem Flur und einem kleinen Hinterhof damit beschäftigt, jonglieren zu üben, rum zu rennen und Plastikteller auf einem Stab in der Luft rotieren zu lassen. An diesem Tag gab es eine kleine Aufführung von geübten Mitarbeitern des Jerusalem Circus in der Altstadt, das heißt sechzig Kinder mussten einmal quer durch die Stadt laufen und sich sehr lange gedulden, bis die Bühne aufgebaut war und die Show losgehen konnte. Dass eine Horde von sechzig Kindern schwer zu bändigen ist, kann man sich vorstellen. Dass diese sechzig Kinder, die unter beengten Verhältnissen und in einer schwierigen Situation aufwachsen, noch schwerer zu bändigen sind, sicherlich auch. Umso wichtiger, dass es Projekte wie dieses gibt, das den Kindern ein wenig Anregung und Unterhaltung bieten kann.
Ein schönes Gesicht bleibt mir in Erinnerung, das von Bayana, eine junge Schauspielerin, die an der Uni in Jerusalem ihren Abschluss in englischsprachiger Literatur über einen Vergleich US-amerikanischer (Alice Walker) mit palästinensischer feministischer Literatur geschrieben hat. Sie arbeitet in einer Theatergruppe, die mit ihren Stücken quer durchs Land ziehen und ihr Publikum zum Mitspielen und diskutieren anregen. In der Uni habe ich eine Forum-Theater-Inszenierung angesehen, die von einer Zwangsheirat eines vierzehnjährigen Mädchens handelte, das wegen ihres Widerstandes gegen diese Fremdbestimmung von Vater und Onkel zu Tode geprügelt wurde („Familienehre“). Leute aus dem Publikum durften in eine Rolle schlüpfen und den Verlauf des Stücks beeinflussen, darüber wurde diskutiert und letztendlich Ideen gesammelt, um eine Änderung der Gesetzeslage bei der Palästinensischen Autonomiebehörde zu fordern.
Gut, dass aus der Gesellschaft, in der manche Väter ihre Töchter umbringen, um ihre „Familienehre“ zu retten, sich auch Frauen wie Bayana entwickeln.
Unfassbar ist die reale Geschichte vom Ehrenmord, der kürzlich in einem Dorf in unserer Nähe geschehen ist. Dort ist eine 32-jährige Frau von ihren männlichen Verwandten vergiftet worden, nachdem bekannt wurde, dass sie von einem außerehelichen Verhältnis zu einem verheirateten Mann schwanger geworden ist.
Unfassbar ist, dass die „geschändete“ Familie, um ihre Ehre wieder herzustellen, einen Rachefeldzug durch das Dorf des Vaters des unehelichen, ungeborenen, nun toten Kindes gemacht hat und sechs Häuser von Familienmitgliedern des Mannes geplündert und angezündet hat. Unfassbar ist, dass weder das israelische Militär, dass die Region kontrolliert, dem Rachefeldzug ein Ende bereitet haben, noch dass die Strukturen der Autonomiebehörde irgendeinen regulierenden Einfluss auf die Situation ausgeübt hätten; angeblich haben Mitglieder der politischen Strukturen die „geschändete“ Familie bei der Wiederherstellung ihrer Ehre gedeckt. Unfassbar ist, dass nach Verhandlungen zwischen Familienangehörigen aus dem Dorf des Mannes (noch dazu christlich) mit Familienangehörigen aus dem Dorf der ermordeten Frau (muslimisch, wenn das eine Rolle spielt) zu der Einigung gekommen sind, dass 100 000 Dollar an die geschändete Familie (nicht die, deren Häuser abgebrannt sind, sondern die, deren Schande immer noch bereinigt werden muss) zu zahlen sind. Unfassbar ist, dass die Familie des Mannes, die uns ihre abgebrannten Häuser gezeigt hat und die Situation ohne Blutvergießen klären wollte, sich auf diese Regelung eingelassen hat. Die Regelung sieht außerdem vor, den mutmaßlichen Vater des Kindes (Sicherheit soll ein Gen-Test bringen) aus dem Gefängnis, in dem er momentan zu seinem eigenen Schutz einsitzt, und damit in die Vogelfreiheit zu entlassen.

16
Sep
2005

Eine Runde Ramallah

Mittlerweile haben mich meine gemäßigten Jesuslatschen aus der Heiligen Stadt schon weit durch dieses Land getragen. Täglich zum Beispiel laufe ich mit ihnen durch Ramallah, wo diese Schuhe nicht besonders en vogue sind, es liegt sicher auch an den wenigen Touristen, die sich hierher verirren. Trotzdem versichern einem ständig Leute den im Vergleich zum restlichen Palästina internationalen Charakter der Stadt mit ihren 40.000 Einwohnern *. Diese Einwohner sind dementsprechend routiniert, Ausländern wie uns „Welcome“ hinterher zu rufen; inzwischen stelle ich erstaunt fest, dass manche Leute diese Begrüßung tatsächlich ehrlich meinen, andere, besonders halbstarke Jungs, freuen sich darüber, fremde Leute anzusprechen und erhoffen sich ein wenig Aufmerksamkeit für ihre hormonschwangeren Gemüter. Insbesondere kleine Mädchen finden es cool, sich im Vorbeilaufen nach unserem Namen zu erkundigen und dabei ihre ersten Brocken Englisch anzuwenden.
Ramallah ist sympathisch, besonders im Vergleich zu Jerusalem, das sehr viel verkrampfter mit seinen geballten Religiositäten auftritt (oder ich bewege mich einfach verkrampfter) und dabei nicht besonders tolerant wirkt, sondern eher ignorant. Da ist mir der grundlegende Dresscode -knielang, schulternbedeckend- in Ramallah angenehmer, nein, ich und sehr viele andere Frauen tragen kein Kopftuch.
Wenn 40.000 Einwohner in Deutschland eine lahme kleine Stadt verheißen, so tobt in Ramallah das Leben auf den Straßen. Zentraler Platz in der Stadt ist ein Kreisverkehr, in dessen Mitte eine Säule mit mehreren Löwen drumherum aufgebaut ist, von der Spitze der Säule gehen Seile mit kleinen Palästina-Fahnen ab. Am Kreisverkehr nehmen Autos, Taxis, Fußgänger zu gleichen Teilen und selten auch Pferde teil, die aber allesamt nicht geordnet im Kreis laufen sondern sich erstaunlich organisch aneinander vorbei schlängeln. Manchmal reguliert ein passionierter Verkehrspolizist das Durcheinander und legt dabei eine Show ab, die aus einer Mischung von Breakdance und YMCA-Gehampel besteht. Er hat offensichtlich Spaß an seinem Job. Vom zentralen Platz, er heißt Manara, bedeutet Leuchtturm, gehen sechs Straßen ab:
1. Die Taxistand-Straße, von dort aus betreten wir die Stadt und fahren später in Richtung Bir Zeit mit einem Sammeltaxi zu unregelmäßigen Fahrpreisen nach Hause;
2. Die Markt-Straße, in der ein unglaublich reichhaltiger Obst- und Gemüsemarkt zu finden ist. Wir freuen uns über spottbillige Lebensmittel, die Verkäufer freuen sich über unsere Bereitschaft, ohne zu handeln horrende Preise zu zahlen.
3. Die Straße der Autonomiebehörde sieht Nahe dem Manara unspektakulär nach Geschäften aus, führt aber, der Name sagt es schon, stadtauswärts an der Autonomiebehörde entlang. Mittlerweile gehen wir sehr gelassen mit dem Anblick des historisch umzäunten und eingemauerten Geländes um, wir waren auch schon drinnen und haben den zerstörten Amtssitz und das von Plastikblumen bedeckte Grab Yassir Arafats begutachtet. Außerdem grüßen die Soldaten immer recht freundlich.
4. Die Internetcafe-Straße wird hier auch stellvertretend für Straße 5 und 6 beschrieben, der für uns relevante Unterschied liegt in der Anwesenheit unseres Internetcafes im fünften Stock eines Shoppingcenters. Ansonsten kann man in den Straßen 4,5 und 6 alles das kaufen, was es man in den Straßen 1-3 nicht bekommt. Außerdem gibt es Cafes, in denen man bombastische Torten essen kann oder zuckergetränkte Süßspeisen, die vergleichbar lecker sind. Von dort aus kann man entspannt das Gewusel auf den Straßen beobachten, wenn man Glück hat sogar mal eine Demonstration.
Es ist also immer viel los, alle sind draußen und drängeln oder schlängeln aneinander vorbei, ohne ignorant zu sein. Man kann den Backmaschinen beim Backen zusehen, man kann Kanarienvögel in ihren Käfigen beim Singen zuhören, manchmal den Müll riechen oder frisch gemahlenen Kaffee, frisch gepresste Säfte trinken und mitten im Gewusel nicht verstehen, dass sich zu Hause jemand um einen Sorgen machen könnte, nur weil man in Ramallah ist.
Viele Gruesse,
Lena

* Diese Angabe stammt aus einer Ramallah-Broschuere. Es muessen aber deutlich mehr sein, man spekuliert so, zwischen 100 000 und 300 000. Oder eben 40 000. Man weiss ja nie.

15
Sep
2005

Israelische Buerger

Nach laengerer Pause auch mal wieder Neues aus dem Sueden des Landes:
Die Hochzeitszeit dauert noch bis zu Beginn des Ramadans an und so nutze ich die Gelegenheit auf diesem wichtigen Ereignis - die Hochzeit- in die nomadische Kultur, die nun aber zum Grossteil sesshaft ist, einzutauchen. Es ist nicht leicht, denn mal tritt mal schnell in ein Fettnaepfchen, ein anderes Mal entgeht einem/r vieles wenn man zu zureuckhaltend ist. Vor allem wenn es um Frauen geht. Schliesslich will ich ja nicht als die "moderne" , "freie" weisse Frau aus Europa auftreten, die weiss wie es laufen soll mit der Gleichberechtigung. Aber mit der Zeit lerne ich einzelne Schicksale von Frauen kennen. SO z.B. U.S. , die von ihrem Ehemann wegen einer anderen verlassen worden ist. Zurueckgeblieben, ohne ihre sechs Kinder (mittlerweile alle gross), die ihr Ex-Mann vor 13 Jahren mit in die neue Ehe genommen hat, hat sie sich als Haushaltshilfe in Lakia durchgeschlagen und stickt auch fuer die Asso wo ich heute bin. Nun, nach 13 Jahren hat sich der Ex ihrer erinnert und sie wieder geheiratet. SIe ist zu ihm nach Hebron gegangen und lebt jetzt mit ihm und seiner zweiten Frau........
Oder eine andere Frau, ebenfalls mit sechs Kindern. Ihr Mann, der noch 3 weitere Frauen hat wohnt vorwiegend in Ramleh und besucht sie einmal im Monat. Finanzielle Situation schwierig.

Vor 2 Tagen war ich in Wadi Na'am, einer nicht anerkannten Siedlungen suedlich in Beer Sheva, angeblich die groesste im NEgev mit rund 6000 Ew. Obwohl die israelische Elektrizitaetsgesellschaft mitten in der Siedlung ein riesiges Werk betreibt, gibt es natuerlich keinen Strom, so wie es auch keinen Wasseranschluss und auch keine Muellabfuhr oder gepflasterte Strassen gibt - von einer oeffentlichen Verkehrsanbindung ganz zu schweigen. Hier ist auch das Gebiet wo es eine 65 Prozent hoehere Rate an Krebserkrankungen gibt. Dank des 500m weiter befindlichen Industrieparks, wo es eine Chemiefabrik gibt, die Pestizide, Duenger und weiss der Teufel noch was fuer ungesunde Dinge produziert werden. Man riecht das auch.
Juedische Israel von Bustan le Shalom/Salam versuchen dort seit drei Jahren eine Klinik aufzustellen, was von der REgierung vehement bekaempft wird. Das Lehmgebaeude steht schon fertig, Aerzte gibt es auch schon die das Projekt unterstuetzen. Obwohl der Oberste Gerichtshof entschieden hat, dass die Regierung fuer die Gesundheitsversorgung verantwortlich ist, hat es bis heute nicht geklappt. Schliesslich hat keiner daran ein INteresse, das Statistiken ueber die erhoehten Krebsraten offiziell werden... Aber am 2. Oktober soll die Klinik eroeffnet werden - zum zweiten Mal. Inshallah dass sie diesmal in Betrieb genommen wird, denn die Beduinen dort zweifeln das ganze PRojekt, dass sie anfangs noch mit viel HOffnung und Motivation unterstuetzt haben, bereits an und kommen sich veraeppelt vor. Das Vertrauen zwischen ihnen und den Juden, die das ganze auf die BEine stellen wollen ist schon etwas angeknackst.

Sonnenschein und sandigen Wind von LInda

13
Sep
2005

Gedenken

6
Sep
2005

Lena ganz oben

Auf dem Dach, allein, über mir Sterne, unter mir die Lichter der Stadt. Man könnte meinen, es sei einfach nur ein schöner Ort.
Die Lichter geradeaus auf dem Hügel gehören zu den Ausläufern Ramallahs, Scheinwerfer der Autos kriechen die steile Straße zur Stadt hoch, sie ist das einzige Nadelöhr für palästinensische Autofahrer zwischen Nablus im Norden und hier.
Die gelbe Straßenbeleuchtung links auf dem Hügel gehört zu einer israelischen Siedlung: auf der Straßenkarte von Ramallah ist sie in rot eingezeichnet. Eine im Vergleich zur Größe der Stadt sehr große rote Fläche kennzeichnet die Siedlung, von der bis auf den Anblick ihrer Lichter und die israelische Militärpräsenz bisher nicht viel zu merken war. Israelisches Militär ist uns auf dieser Strecke erst zwei Mal begegnet: einmal kontrollierten eine Hand voll bis an die Zähne bewaffneter und einigermaßen schusssicher eingepackter Soldaten die Insassen eines Kleinbusses, darunter mehrere Kinder, die sich in Reih und Glied aufstellen mussten; ein anderes Mal bewahrte uns die Deutschlandfahne auf dem Auto und der eilig hochgehaltene rote Pass vor einer persönlichen Kontrolle durch die gelangweilt aussehenden Soldaten.
Die Sicht vom Dach „unseres“ Hauses auf dem Sternberg/Star mountain/jebel al nejmer reicht rechts bis weit nach Israel: die Lichter der Siedlung, der Straße und Ramallahs werden hinter den Hügeln von der Beleuchtung Jerusalems fortgesetzt. Sind es auch nur wenige Kilometer Luftlinie bis zum israelischen Teil des Landes, so ist der Weg dahin über den Checkpoint Calandia für Leute ohne rote Pässe eine alltägliche Schikane. Die fast surrealistischen Bilder am Checkpoint bei unserer Einreise spuken mir immer noch im Kopf herum:
Tina und zwei ihrer Freundinnen begleiten uns auf dem Weg von Tel Aviv über Jerusalem nach Ramallah. Müde von einer Nacht ohne Schlaf und den Eindrücken aus Tel Aviv und Jerusalem sitzen wir in einem Sammeltaxi und werden zum Checkpoint gefahren. Irgendwann wir die Straße enger und ist auf beiden Seiten von Felswänden eingefasst, der Verkehr wird dichter und nach einigen Minuten taucht auf der linken Seite die graue Betonmauer auf. Das Taxi fährt nur noch Schritttempo, weshalb die anderen Fahrgäste nach und nach aussteigen und auch wir entscheiden uns für den offenbar schnelleren Fußweg über den Checkpoint. Wir bahnen uns den Weg durch die kreuz und quer stehenden Autos, ein Eisverkäufer kommt uns entgegen, mein ohnehin schwach ausgeprägter Orientierungssinn geht hier komplett verloren. Auf der zu unserer Linken stehenden Mauer hat jemand den Schatten eines Mädchens gemalt, dass von einem Strauß Luftballons in die Höhe getragen wird.
Gut, dass Tinas beiden Freundinnen (auch Ausländerinnen wie wir) routiniert mit diesem Chaos umgehen, wir brauchen ihnen nur zu folgen. Wir fünf fallen hier auf, zumal Sebastian und ich noch unser Gepäck auf dem Rücken tragen. Auch einem Taxifahrer, er ruft uns entgegen: Welcome to our country! Vorbei an Essenständen, Uhren, Taschen, jeder mögliche Kram wird hier angeboten, die Händler und Bettler sitzen auf dem Boden und rufen uns hinterher; ein Junge verfolgt mich eine ganze Weile und schlägt mit einer leeren Plastikflasche auf meinen Rucksack, dass Sebastian ihn schließlich davon abbringt kriege ich gar nicht mit, denn ich bin nur damit beschäftigt, den anderen zu folgen und die absurden Szenen mit zu bekommen. So das Bild einer im blauen Himmel schwebenden Betonstehle, die an der Kette eines Krans hängt. Ein Mann sitzt auf der mehrere Meter hohen Mauer und versucht dem Kranfahrer Anweisungen zu geben, um die Mauer mit dem schwebenden Teil zu ergänzen..
Der Checkpoint: Auf dem Weg nach Palästina wird hier erstmal gar nichts gecheckt, wir müssen nur durch eine metallene Drehtür gehen. Der Weg nach Israel scheint dagegen wesentlich schwieriger: eine Menschenschlange staut sich in einem abgezäunten und überdachten Gang vor den Kontrollen. Von der alltäglichen Schikane, von der oft erzählt wird, bekommen wir jetzt noch nichts mit; auch in Zukunft werden wir persönlich kaum davon betroffen sein: Pass- und Hautfarbe sei Dank.
In Ramallah angekommen verabschieden wir uns von Tina und den anderen und werden von einem sehr freundlichen aber nur arabisch sprechenden Taxifahrer zu unserer Unterkunft gebracht (und dabei sehr freundlich und auf arabisch über den Tisch gezogen). Auf der Fahrt bringen wir uns die Worte Stern und Berg auf englisch und arabisch bei – Star Mountain ist der Name unserer Unterkunft.
Sterne über mir Lichter unter mir. Jetzt verseht mich nicht falsch: vieles andere ist hier so alltäglich, bekannt (Falafel und saure Gurken als Deutschland-Palästina verbindendes Grundnahrungsmittel, Anblick von Stoff auf Haut und Haaren oder Haare und eingeschränkt auch haut pur) und interessant, man könnte fast meinen, es sei einfach nur ein eigensinnig schöner Ort.
Die Nadelöhr-Straße verbinde ich neben Militärkontrollen übrigens auch mit hupenden Taxis und dem Anblick und Geruch eines verwesenden Schafes…

3
Sep
2005

...

So langsam lichtet sich also die anfängliche Verwirrung...

...wenngleich sie sich nicht immer in Wohlgefallen aufzulösen vermag – aber das gehört hier wohl dazu. Wir sind jetzt gut eine Woche in der Ramallah, beginnen langsam mit unserer Arbeit, lernen Menschen und Umgebung kennen, versuchen mit leichten Fortschritten des hier gesprochenen Arabischs Herr (Sorry! Die gegenderte Form klänge hier echt blöd) zu werden.
Kulinarisch erde ich mich mit Kartoffeln, Senf, Ketchup etc. und für den Fall, dass die Sehnsucht nach heimatlicher Küche überhand nehmen sollte, liegt eine Packung Butter im Notfallfach des Kühlschranks bereit. Aber noch ist alles gut. Allein… das Brot... nun ja, the same old story of a German and a foreign bred in… love (?).
Einen Stadtplan von Ramallah haben wir auch endlich erhalten, wenngleich sich dessen Autor oder Schriftsetzer nicht sicher ist, ob Ramallah jetzt „the bride“ oder „the pride of Palestine“ sein soll. Nun ja, zumindest aus territorialpolitischer Sicht, ist diese Unsicherheit wohl realsatirisch richtig... Apropos: Der jüngste Anschlag in Beer Sheva hat, al-hamdullilah (ja, jetzt ratet mal...), keine bisher nennenswerten Auswirkungen auf Ramallah gehabt. Das nach der Belagerung des sterbenden Arafats im letzten Jahr ziemlich heruntergekommene Hauptgebäude der palästinensischen Autonomiebehörde (PAB, bekannt aus Focus und Fernsehen), an dem wir fast täglich vorbeilaufen oder -fahren, ist so lässig „bewacht“ wie vor dem Attentat; bei Sonnenuntergang sitzt ein Soldat entspannt auf der Mauer, lässt Beine wie Seele baumeln und winkt uns Westlern freundlich mit dem MG. Selbst die Sandsäcke vorm Eingang schauen geruhsam.
Die Bekanntschaft eines wohl relativ kleinen Funktionärs der PAB haben wir auch schon machen dürfen, was in der Art uns hier eigentlich häufig widerfährt, da wir auffallen, wie... ja, wie... ach, keine Ahnung, wir fallen auf. Was diesen Kontakt angeht, scheint es jedoch vermutlich eher um Quantität als Qualität zu gehen: je mehr westliche Kontakte ein Mitarbeiter hat und zu nutzen versteht, desto wahrscheinlicher wird er bei der Besetzung der nächsthöheren vakanten Stelle berücksichtigt – und die steht bekanntlich häufig an. Sehr nett war der Mann allemal und hielt ein gesundes Maß zwischen Lobpreisung für und Warnung vor seinen Landsleuten ein.
Einer seiner noch freundlicheren Landsleute wollte uns dann nach zwei Straßengesprächen auch gleich überreden, Sprachunterricht für Wenauchimmer zu geben, ganz rausgefunden haben wir das nicht, und so richtig sagen, wofür er uns wirklich ge- oder verbrauchen möchte, wollte er auch nicht... (Für alle South-Parks-Fans dürfte der Verdacht „Operation Human Shield“ ein Begriff sein.) Überhaupt hielt er sich eher bedeckt, erklärte zwar freundlich, den optischen Unterschied zwischen palästinensischen Polizisten – blau Uniformierte mit Pistolen – („Secret Police“, ohohoh!), Verkehrspolizisten – blau uniformierte ohne Pistolen, dafür jedoch mit grellgrünen Scherpen und Terminator-Sonnenbrillen – („...“) und Militärs – grün Uniformierte mit MG’s – („The green ones control the borders. mhh... But, in fact, we have no borders. !!!“) – wofür die Militärs aber dann gut sind, verschwieg er höflich... Ansonsten laufen hier noch so ein paar bullige Knallscharchen in Feldtarnanzügen (in der Stadt!) und Walkietalkies (!) herum, unbewaffnet; zu welcher Organisation, bzw. eher NGO oder PMC die jedoch gehören, ist mir noch unklar. (Angeblich auch „Polizei“. Sachdienliche Hinweise Eingeweihter, die meine Ankommermentalität bespötteln wollen und können, sind sehr herzlich willkommen.) Hauptsache ist wohl, dass sie wichtig aussehen dürfen und wir ihnen ausweichen, wenn sie die Steige entlang patrouillieren.

Und, um indirekt beim Thema zu bleiben, haben wir nun auch herausgefunden, warum israelisches Militär hier nahe ist und soviel Verkehr auf der kleinen Provinzstraße vor unserer Bergunterkunft verläuft. Fast in Sichtweite unseres Daches liegt, östlich des Nordens Ramallahs, bestens bewacht eine riesige israelische Siedlung, für die die Hauptverbindungsstraße zwischen Ramallah und Nablus annektiert wurde. Die Palästinenser müssen jetzt „unsere“ Popelstraße benutzen, auf der, wiederum fast in Sichtweite unseres Daches, bis vor kurzem ein großer Checkpoint installiert war, von dem jetzt nur noch die Ruinentrümer am Straßenrand liegen und der nicht wenige Menschen... – aber solche Storys kennt man ja. Das Reha-Zentrum Star Mountain, in dem wir unterkommen, jedenfalls, war bis zur Errichtung dieses Checkpoints wohl auch noch ein Internat – das war dann „natürlich“ passé, eigentlich eine scheiß Situation für LehrerInnen und Kinder, zumal Behinderte hier noch wesentlich stärker benachteiligt und aus dem Sichtfeld exkludiert sind, als in Deutschland. Gleichzeitig steigt durch besagte Siedlungsfestung der Grundstückswert unserer Residenz, weil Ramallah, nahezu eingekesselt von drei Seiten, sich baulich wohl nur noch nach Norden erweitern kann. Operation gelungen, Patient tot. Im Kern aber bleibt, auch was die Philosophie dieser Einrichtung hier anbelangt, der Star Mountain ein wunderbares Projekt und ist nicht nur auf Spenden sondern sicher auch auf viele Engagierte vor Ort angewiesen... Freiwillige vor. Nächste Woche startet hier die Schulzeit wieder, dann kann ich ein paar konkretere Eindrücke weitergeben...

Zumal hier vorgestern Feiertag war, Mohammed ritt vor knapp 1400 Jahren gen Himmel, waren wir jetzt fast zwei Tage in Jerusalem, aber bis auf die – vorrangig dank der wiedergesehenen Gesichter – recht angenehme Party am Abend, hält sich mein Drang, über diesen Ort zu berichten, in argen Grenzen. Dafür, dass es die Heilige Stadt, jedenfalls die Altstadt, jedenfalls für drei Weltreligionen, jedenfalls also für mehrere Milliarden Menschen ist, ist sie... nein, ich sag’s doch nicht. Sonst steigt mir noch so ein Idiot auf’s Dach, der Lessing (wie ich meine: zu Recht, wenn auch nicht absichtlich) nie gelesen hat und meint, ich hätte unseren Gott beleidigt. Die Klagemauer war schön. Der Felsendom auch. Und die Geburtskirche. (Die letzten drei Sätze dienen sowohl inhalt- wie auch reihenfolglich allein meiner gesundheitlichen Absicherung, können also von klügeren Leuten als Makulatur betrachtet werden. Gesehen, habe ich eigentlich nur die Klagemauer (der Bereich für Frauen ist sehr wesentlich kleiner als der für Männer). Und den Felsendom aus der Ferne (goldig). Die Geburtskirche habe ich noch nicht gefunden. Oder übersehen. Aber nicht weitersagen. Wer will schon enden wie van Gogh – nicht der mit dem bzw. besser ohne das Ohr – na gut, vielleicht auch nicht wie der, aber ich meine den Niederländer, den mit dem Schraubendreher im Magen. Und im Herzen. Und, naja, fast überall eigentlich.) Man glaubt gar nicht, wie viel Schrott und Nippes die einem in der Altstadt andrehen wollen. Man kann Klobürsten in der Heiligen Stadt kaufen! Ich will ja jetzt wirklich nicht auch noch wie ein Idiot der o.g. Sorte daherkommen: aber ist es nicht aufgezwungene Blasphemie, wenn ich Jerusalem spontan nicht nur mit allzu sorglos entsorgtem Touristen- und Pilgermüll, sondern auch mit Scheiße assoziieren muss? Am sympathischsten war zunächst letztlich ein alter arabischer Lokalbesitzer, der nahe der Altstadt gemächlich und zufrieden eine Tasse guten Kaffees ausschenkte, diesen in hebräischer Schrift bewarb, gelegentlich sanft einnickte und auch ein Erlöserbild überm Tresen zu hängen hatte. Puuh, Kurve jerad noch sojekricht, wa... So war es eben gut, recht unbedarft und ziellos durch Jerusalem zu tingeln, eine riesige Trauer-Demonstration der Abzugsgegner zu betrachten, die die Särge von den aufgelösten jüdischen Friedhöfen Gazas überführten, sich etwas zu verlaufen... und erst anschließend die üblichen Touristenführer zu studieren. So läuft man bei den kommenden Besuchen der Stadt nicht mehr so verpeilt und übereifrig durch die Gegend...

In zwei Wochen beginnt dann auch noch der Ramadan, so dass wir jetzt nun etwas die belebten Straßen Ramallahs erkunden, bevor tagsüber bald tote Hose und leerer Magen en vogue sein werden... Nichts gegen ernste religiöse Andacht, aber wo Religionstraditionen eher sozialen Repressionen gleich zu kommen scheinen, kann die unreflektierte Faszination eines (auch) Kulturtouristen wie mir schnell in Abscheu umschlagen.
Im Allgemeinen darf also festgehalten werden, dass ich langsam angekommen bin, versuche, viel Unangenehmes einfach mittels Sarkasmen zu kanalisieren, mich sehr gespannt auf unsere Arbeit hier freue, auch wenn das nicht nur dafür essentielle Notebook erste Anzeichen ernsthafter Erkrankungen (Schwitzen am Abend, Husten bei Überforderung, Halsschmerzen bei mir, durch nervöses Anderkippenuckeln, wenn’s wieder mal Fehlermeldungen erbricht. Wohlgesonnene Sponsoren gern gesehen!), überrascht bin, wie viele neue Informationen in kurzer Zeit dann doch in den sonst etwas starrsinnigen Schädel passen, ist man erstmal ins lauwarme Wasser gestoßen worden (danke, Katrin. Und jederzeit hier willkommen!).

Und um erneut mit dem nicht ganz verkehrten Klischeebild des rauschmitteltoleranten Westlers zu schließen, sei noch erwähnt, dass sich die Kaffeelage („Real Coffee“, 20,- NIS) etwas entspannt hat (die ... andere auch (ca. 8,- NIS)) und ich es endlich geschafft habe, dieses ekelhafte Marlboro-Kraut hinter mir zu lassen, weil ich nunmehr ein echtes Tabakgeschäft gefunden habe. Der nächste Beitrag wird also vermutlich von den lustigen Reaktionen einiger Palästinenser handeln, die mir wohlwollend und stolz ihre Marlboros anbieten wollten... Mal schauen, auf welche Resonanz mein sozialrevolutionäres Entwicklungshilfeprogramm „Selbstdreher aller Länder vereinigt euch!“ stoßen wird. Die EU wird ja eher dagegen sein...


Postskriptum: Allerdings kann auch auf etwaige Themenwünsche der LeserInnen eingegangen werden, insbesondere jener korrekt aufgeregt kritischen, denen der sicherheitspolitische oder sicherheitspolitische Teil zu ausführlich und vermeintlich oder tatsächlich pauschalisierend wie diskriminierend daherkommt, und der zivilorganisatorische wie optische zu marginal ausfällt. Vorschläge meinerseits: Müllentsorgung, Flora und Fauna aus Laiensicht (Die Lena schreibt’s dann bestimmt richtig.), Wasserverbrauch, Wirtschaft (Wie nennt man eigentlich ein Geschäft, in dem man gleichzeitig Wasserhähne, Fusel, Fahrradreifen, Sitzmöbel, Obst, Zigaretten, Rasiercreme, Zylinderkopfdichtungen für Nissan und BMW, Wäscheklammern, Pornos, Armbanduhren, Koran und Mietwohnungen erhält? Bisher war die Antwort nur: „Business, my friend.“)*, Straßenverkehr und Straßenverkehr, Daylife statt Nightlife, von mir aus auch die unvollständige Wiedergabe eines im Radio übertragenen Freitagsgebets irgendeines ... (s.o.), welches nach Überquerung des Kallandia-Checkpoints im Taxi über uns erhallte (Wer errät, in welcher Reihenfolge und wie häufig die Phrasen „Allah ist groß!“, „Islam ist mächtig!“ und „Juden... [Textpassage von der Politischen Polizei wegen politischer wie sonstiger Inkorrektheiten zensiert sowie auch – mit bestem Dank für die behördenübergreifend hervorragende Kooperation – vom Bundesamt für jugendgefährdende Schriften indiziert.]!“ fielen, erhält bei Gelegenheit eine akustische Digitalkopie unter 1,5 MB gratis per E-Mail.).

*Verzeihung. Ich hatte eine Wette zu laufen, dass ich es durchaus schaffen würde, drei spezielle Wörter dieser Frage in einem veröffentlichten Satz unterzubringen. Ich habe gewonnen! Der Inhalt des Satzes ist trotzdem richtig. Und die Frage dennoch relativ unbeantwortet. Denn Business macht hier nach eigenem Bekunden scheinbar jeder. Selbst Bettler. Aber die verkaufen keine Wasserhähne. Im Normalfall.**
** Ích bitte um Entschuldigung für das pubertäre Wortspiel im Zusammenhang von Bettelei, Normalität und Fall.

Beitrag eigentlich vom 28.08. oder so...

...so sagten wir Gütersloh ein Lebewohl und flogen ins Heilige Land.

As-salamu alaikum! Dafür, dass wir von Montag Abend bis Donnerstag Nachmittag, die Leistung erbracht haben, nach einem letzten, privat produzierten Interview-Roadmovie in Gütersloh nach Hamburg zu rasen, von dort aus nach Zürich zu jeten, von dort nach Tel Aviv (man hat uns nicht mal gefilzt, Unverschämtheit) und von dort nach Jerusalem, über den Kallandia-Checkpoint samt des ästhetisch wenig anspruchsvollen und daher der Sache gerecht werdenden Schutzwalls der Israelis – letztlich nach Ramallah, in dessen Nähe wir jetzt wohnen – hält sich der Kulturschock in annehmbaren Grenzen. In Ramallah sind wir, voll bepackt, käseweiß und mal eben das Notebook auf einer Hauptstraße auspackend, wohl in jedes Fettnäpfchen gelatscht, was sich uns bot; mit Ausnahme des Polizisten, der eher nach MP aussah und sich aus höflicher Distanz um unsere Sicherheit zu sorgen schien, jedoch, haben dies wohl alle mit Nachsicht betrachtet. Insbesondere selbstverständlich unsere bisher einzigen zwei Solotaxifahrer: zweimal gefahren, zweimal in vollem Bewusstsein beschissen worden. Da einer jedoch Israeli, der andere Palästinenser war, wurden wir immerhin politisch korrekt über alle Ohren gehauen. Nun ja, Lehrgeld halt. Und hätten wir nicht die Begleitung und Unterstützung Tinas gehabt, die schon eine Weile in Tel Aviv ist, wäre wohl alles etwas unkoordinierter gelaufen.

So versuchen wir nun anzukommen, was hier sehr gut gelingt, da wir auf dem Star Mountain (Djebel nejmer; Fotos und Infos unter: www.starmountain.org) unterkommen, einer verhältnismäßig sehr gut ausgestatteten ehemaligen Lepra-Kolonie (ja: Le-pra!), die heute ein „Behinderten-Rehabilitations-Center“ (!), im Kern also eine sehr interessante Schule ist. Die Grillen zirpen, der Verkehr rauscht nahe vorbei, im Südlichen liegt Ramallah, dahinter leuchtet der Lichtsmog Jerusalems, im Nördlichen die Lämpchen Bir Zeits, und neben den regelmäßigen Gesängen des Muezzins (wenig später setzt ein absurd rhythmisches Heulen der Hunde und das Blöcken eines Esels ein – bis der Hahn kräht und die Ramallaher Vorstadtmusikanten fast vollzählig sind) lauscht man des Abends besonders gerne dem etwas entfernten Grollen israelischer Artilleriesalven. Da diese aber recht koordiniert und nach gleichförmigem Kaliber klingen, handelt es sich wohl nur um routinierte Übungsmanöver der IDF – bei Gelegenheit werden wir mal nachfragen (aber nicht bei denen). Wenn man erlebt hat, wie einem die israelischen, fast noch kindlichen RekrutInnenen in überfüllten Bussen, High-Heels oder Nikes ihre uralten, aber stylisch aufgemotzten Gewehre gegen’s Schienbein knallen, klingt weit entfernter Donner eigentlich eher nach lustigem Feuerwerk – nur ohne bunt erleuchteten Himmel. (Speziell für meine Mama: Der Entspannung jedenfalls tut das keinen Abbruch.) Dennoch setzt die Solidarisierung mit der palästinensischen Sache (?) für Menschen wie mich erstaunlich schnell ein, sitzt man erstmal mit ihnen in einem räumlichen Boot… und lässt die kurzen aber heftigen Fetzen revue passieren, die man pauschal in ein paar kurzen Tagen von der israelischen und der palästinensischen Mentalität zu erkennen geglaubt hat. Die israelische Armee jedenfalls kann trotz offiziellen Autonomiestatus Ramallahs recht weit vordringen, da sich in Sichtweite unserer Unterkunft eine riesige Siedlung oder gar Festung befindet, und die Autos fahren dann noch etwas hektischer als gewöhnlich, wenn sie einen rundum gut gesicherten Militärjeep am Straßenrand sehen, dessen Insassen mal eben wieder halbe Kinder in Reih und Glied Aufstellung nehmen lassen und den sich nahenden Fahrern leider sehr mehrdeutig interpretierbare Befehle per Handzeichen geben. Und gerade ist die Situation ohnehin etwas angespannter, weil es seit langem wieder ein relativ großes Attentat in Beer Sheba gab – mal sehen was geschieht. Denn obwohl wir hier quasi an der Quelle sitzen, ist der Informationsfluss für uns gleich null – wir glotzen Tagesschau.



Was unseren Job hier angeht (für alle, die es nicht wissen, sei zunächst nur kurz erwähnt, dass wir ein Schüleraustauschprogramm zwischen der Anne-Frank-Schule in Gütersloh und der School of Hope in Ramallah evaluieren), kann gesagt werden, dass wir den Gütersloher Teil in hervorragend kurzer Zeit, mit von uns dankbar angenommener Unterstützung aller Beteiligten und zu unserer zunächst von Skepsis geprägten Überraschung mehr als umfassend absolviert haben. Nur konzentriert zuhören können wir nach über dreißig Interviews in gut sechs Tagen jetzt erstmal nicht mehr. So verlegen wir uns auf’s langsame Eingewöhnen, lernen ein paar Brocken des palästinensischen Arabischs, genießen das tolle Klima sowie die Unmengen unterschiedlichsten Humus’ etc. und versuchen zu realisieren, dass wir nach all dem Vorbereitungs- und sonstigem Stress der letzten Monate endlich hier sind und ich für meinen Teil zum ersten Mal seit Urzeiten, das Tempo selbst bestimmen kann, in dem ich arbeiten möchte.

Ohnehin hat sich nach arbeits- und aufregungsreichen Monaten in Berlin und anderswo bei mir soweit alles zum Ruhigeren gewendet; die letzten sehnsüchtig erwarteten guten Nachrichten trafen noch kurz vor Abflug ein, so dass ich für mich das ungewohnt entspannte Gefühl haben darf, zu Hause alles in einem guten Abschluss hinterlassen zu haben und mich voll auf unsere Arbeit und unsere Umgebung konzentrieren zu können. So kann sich meine lang vermisste Penibilität wieder Bahn brechen und ich endlich wieder – typisch deutsch – herum mosern, dass dieser oder jener Wasserhahn falsch justiert ist, die Steckdose schräg von der Wand hängt, der Kater nach Katze riecht und das ganze Pipapo… Kurz: alles ist soweit schön, Honeymoonphase, meint Lena, und nach einigen Tagen Ruhe fiel uns eigentlich schon die Decke auf den Kopf. So erkundeten wir Ramallah etwas, lernten gleich ein paar Leute kennen und werden bald Kontakt zur School of Hope aufnehmen – ich mag meinen Job und will grad auch nichts anderes machen. Und wie oft kann man so was von einem Deutschen heute schon noch hören… Die erste kleine politische Fundi-Demo haben wir auch schon mit ansehen dürfen und etwas später ein paar junge Palaestinenser kennengelernt, die uns demnaechst die Uni zeigen werden...



Apropos Politik und Bildung: das Beste hier sei natürlich nicht vergessen. Weit und breit kein Werbeplakat von meinem Bundeskanzler, keines von seiner Konkurrentin… Kein Papst, kein Beckenbauer, kein Kerner, kein Biolek, keine Christiansen, kein Lafontaine, kein Sommer, kein Rogowski, kein Henkel, kein Westerwelle, keine sonstigen Dreigroschenfressen. Aber, bevor ihr alle herstürmt: auch kein Bier, jedenfalls keines auf dem nicht auch groß 0,0% stünde. Seufzschluchzjammer. Andererseits: wozu noch Alkohol, wenn kein Bundeskanzler, keine Konkurrentin, kein Kerner, kein Biolek…. ich hör jetzt auf und rock etwas im Takt der Artillerie. Mer salam (für Christian).

30
Aug
2005

http://www.banksy.co.uk/news/index.html

Absolut sehenswert!!

28
Aug
2005

Wieviele checkpoints passen zwischen ramala und jerusalem (ca 14km) ?

Wie man von einem Tagesausflug in die Westbank nach Ramala wieder zurueck nach Tel Aviv kommt.....Man sitzt um 21.00 abends in einem netten Cafe in einem gartenaehnlichen Hinterhof in Ramala und bemerkt irgendwann dass es erstens schon dunkel und zweitens kalt ist...ja , es wird dort tatsaechlich kuehl abends..zumindest wenn man das heisse feuchte Wetter in Tel Aviv gewohnt ist...naja, man beschliesst also aufzubrechen....man nimmt ein sammeltaxi von ramala zum kalandia-checkpoint...man steigt aus...nimmt seinen rucksack...laeuft durch den checkpoint...und weil man 1. ein maedchen ist, 2. weiss und 3. einen europaeischen pass hat, wird man in weniger als einer sekunde einfach durchgewunken! Weder ich noch mein vollgepackter Rucksack, wurden genauer in Augenschein genommen...Wir waren einfach nicht interessant genug...
Also, dies war der erste checkpoint. Dann wird man im Chaos hinter dem checkpoint fast ueber den Haufen gefahren...steigt in einen Bus Richtung Jerusalem...bewegt sich ein paar Meter..und steht am naechsten checkpoint: Alle im Bus, ausser uns nur Palaestinenser,greifen in die Tasche, halten ihren Pass in die Hoehe, ein Soldat steckt den Kopf herein, leuchtet die Paesse einzeln an...irgendwann fahren wir weiter....
Auf einmal grosses Geschrei und Soldaten mit erhobenen Waffer rund um den Bus: Der naechste checkpoint, Nummer drei. Diesmal werden nur die Paesse der Maenner eingesammelt....
Wir fahren weiter...halten an checkpoint Nummer 4: Diesmal reicht ein kurzes Gespraech des Soldaten mit dem Busfahrer, und wir fahren weiter....und kommen in Jerusalem 14 km und 1,5 Stunden nach Abfahrt aus Ramala in einer anderen Welt an.
Wir nehmen den Bus nach Tel Aviv...und ich finde mich 2 Stunden spaeter im quirligen, wuseligen Viertel Florentin mit Freunden in einem Cafe wieder...eine Reise durch 3 verschiedene Welten an einem Tag....
Denn: Es gibt sie, diese sehr westliche Seite in Israel....man findet sie hier in Tel Aviv am Strand, in den Bars, Clubs und Cafes...Leute, die in Europa studieren, dort Verwandte haben..reisen...die nicht religioes sind und fuer die eine Reise nach Jerusalem fast schon eine Reise in eine fremde Kultur ist...weil sie mit den orthodoxen Juden dort nichts gemeinsam haben....ausser dass sie sich beide als Juden sehen, ....aber sehr sehr unterschiedliche Ansichten haben, was das bedeutet....Leute, die den Abzug als schmerzhaft aber notwendig ansehen.....die sich vor der Armee druecken...am Sabbat Auto fahren....
Reisen in Israel ist Reisen durch viele verschiedene Welten auf kleinem Raum.
Heute ist genau Halbzeit fuer mich hier im Projekt, ich habe also noch 1,5 Monate und ich bin schon sehr gespannt was diese bringen werden! Ich habe noch einige Plaene was das Reisen betrifft, ich moechte weiter Hebraeisch lernen, Land und Leute kennenlernen, wir wollen eine Ausstellung im Projekt machen...
Schoene Gruesse nach Deutschland
Tina

news

Wetter: sonnig, manchmal bewoelkt, kuschelig warm am Tag, aber viel, viel zu kalt in der Nacht (brrr) – Erkaeltung und Herbst werden erwartet! Days of change... also.

...

Nachrichten: (viel zu viele, deshalb nur ein Flashlight, sorry)

...Suicide Attack heute frueh in Bir Saba`a... 51 Verletzte, 2 davon schwer… Attentaeter kommt Hebron (Hamas)... Strassen wurden gesperrt... neue Roadblocks in der West Bank nach Attack...

... „cat rescue group“ rettet 250 Katzen nach Gaza-Abzug aus den Gazasiedlungen...

... National Employment Service verspricht Arbeit fuer 2000 Gaza „Evacuees“ zufinden...
(Gazans, die in den Siedlungen gearbeitet haben, was oft die einzige Moeglichkeit fuer Beschaftigung war, erhalten keine Abfindung)...

... Jihad Islamii wird nicht an den Wahlen im Januar teilnehmen...

... UNCTAD: ein Drittel der Palaestinenser arbeitslos...

... DCI: 100 Kinder (unter 18 Jahren) sind in Israeli Detention Centers inhaftiert...

... Hochzeitsgesellschaft bei Qalqilia wird von Siedler mit Cocktail Bomben und Steinen beworfen, kein Verletzten...

... Shabak (israel. Security Services) verhaftet 2 israelische Extremisten, die eine Moschee in Jaffa mit einem Schweinekopf beworfen haben...

... weitere Landenteignungen um Ma`ale Adumim Siedlung bei Jerusalem, um die Mauer zu bauen...

... in fuenf Jahren werden eine Million Siedler in Jerusalemsiedlungen leben...

... u.s.w. ...
...

21
Aug
2005

Neues aus Tel Aviv

Nach einer kleinen Pause nun auch wieder Neues aus Tel Aviv.....ja, der Abzug, ein heisses Thema. Natuerlich wird darueber gesprochen, man schaut sich die Bilder im Fernsehen und in der Zeitung an (d.h. ich schaue mir die Bilder an, die anderen lesen wohl auch den Text...), man diskutiert darueber...viele meiner Freunde hier haben Geschwister bei der Armee, einige sind auch mittendrin dabei....ich habe am Wochenende mit der Schwester eines Freundes gesprochen die in Newe Dekalim dabei war und fuer einen Tag heim durfte...heftige Geschichten....Natuerlich kann ich hier kein repraesentatives Bild liefern, sondern nur einen ganz kleinen Ausschnitt, aber die meisten Leute mit denen ich spreche halten den Abzug fuer zwar sehr schmerzhaft, aber auf jeden Fall notwendig. So kann man das wohl zusammenfassen.
Der Ausflug mit Anne zum toten Meer, ja, auch da gab es natuerlich politische Diskussionen....wir waren fuenf Leute, Anne und ich und drei Israelis...und da gab es auch sehr unterschiedliche Ansichten...Und heiss war es insgesamt..auch wenn Anne das kuschlig nennt..irgendwie hab ich da wohl ein anderes Temperaturempfinden...Das Tote Meer ist ein sehr seltsamer Ort auf dieser Erde, man fuehlt sich gleichzeitig wie in Himmel und Hoelle....
Letztes Wochenende war ich in Israel unterwegs, in Jerusalem, in Akko, Haifa, Quesariya...in Jerusalem herrschte eine sehr seltsame Stimmung, angespannt, securitychecks and allen Ecken und Enden, fuer meinen Geschmack viel zu viele Fanatiker aller Richtungen...ich war froh als ich wieder draussen war. In Jerusalem hatte ich auch mein erstes Zusammentreffen mit der israelischen Obrigkeit, genauergesagt mit dem Ministry of Foreign Affairs, wo ein Freund von mir etwas zu tun hatte...das Zusammentreffen verlief allerdings sehr unspannend, ich wurde einfach nicht ins Gebaeude gelassen.
Akko hingegen ist eine sehr schoene, sehr alte aber trotzdem sehr lebendige Stadt. Kinder turnen auf irgendwelchen historischen Ruinen herum, Akko liegt direkt am Meer...sehr schoen! Hat mir wesentlich besser gefallen als Jerusalem.
Was die Stimmung allgemein in Tel Aviv betrifft, so ist der Abzug zwar ein grosses Thema. Das Leben geht aber ganz normal weiter, man feiert, geht zum Strand, arbeitet...
Ich bin umgezogen, wohne jetzt in einer WG in Florentin. Ein sehr ulkiges Viertel...
Was ich uebrigens auch nochmal betonen will: Es besteht die Moeglichkeit Kommentare zu schreiben! Also: Schreibt!
Mit den besten Gruessen Tina
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palisra

hallo - marhaba - shalom

Lena und Sebastian gehen nach Ramallah... Tina und Christine gehen nach Tel Aviv... Anne geht nach Ostjerusalem... ... und Linda geht nach Beer Sheva. Und zusammen fahren wir nach *palisra*. Sechs ASAten sind wir und diesen Sommer werden wir drei Monate in Israel / Palästina in vier verschiedenen Projekten als Praktikanten arbeiten. Hier in *palisra* berichten wir von allem, was uns passiert, was uns wichtig ist, von unserer Arbeit und unserer Freizeit.

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